Kica Kolbe, Philosophin und Schriftstellerin: „Ich erfülle eine Brückenfunktion“
Kica Kolbe, Jahrgang 1951, studierte Philosophie, Kunstgeschichte und Literaturwissenschaften in Skopje und Belgrad. Nach ihrer Promotion und einer mehrjährigen Lehrtätigkeit im Bereich der Ästhetik an der Universität Skopje wanderte sie Mitte der 1980er Jahre nach Deutschland aus. Seitdem entstanden zahlreiche Essays und Monographien, aber auch Erzählungen und Romane zu den zentralen Themen Kica Kolbes: Kriegstraumata und Exil.
Die Philosophin und Schriftstellerin ist Mitglied der 2018 gegründeten mazedonisch-griechischen Schulbuchkommission sowie Autorin einer wöchentlichen Kolumne für die Deutsche Welle. Aktuell arbeitet sie an ihrem sechsten Roman, der den Arbeitstitel Archäologie des Krieges trägt. Obwohl sie ihre wissenschaftlichen, literarischen und journalistischen Arbeiten auf Mazedonisch verfasst, hat die deutsche Sprache und Literatur einen signifikanten Einfluss auf ihr Denken und Schreiben.
„Die deutsche Sprache habe ich vor allem durch die Lektüre deutscher Philosophie und Literatur erlernt. Das war meine Schule. Was meine eigenen Texte anbelangt, so wird mir immer wieder gesagt, dass meine Sprache sehr klar und prägnant sei. Ich bin der Meinung, das ist der Einfluss der deutschen Sprache, die sehr logisch aufgebaut ist. Sie hat mir geholfen, meine mazedonische Muttersprache als meine Prosasprache zu entdecken und zu meiner eigenen Sprache zu finden. So gebrauchte ich zum Beispiel Komposita wie „Heimkehr“ oder Begriffe wie „Philosophin“ (anstelle von „Frau Philosoph“), lange bevor diese im Mazedonischen gängig wurden. Die Initialzündung für einen Text – das kann eine Idee sein oder ein Satz – erfolgt meist auf Deutsch, ebenso erste Skizzen und Entwürfe. Im Verlauf meiner Arbeit wechsle ich dann jedoch die Sprache. Die präzise Form, die Musikalität und der Rhythmus des Deutschen, all das trägt mich im Mazedonischen.“
Auch hinsichtlich ihrer Lebensthemen Kriegstraumata und Exil erwies sich die deutsche Philosophie und Erinnerungskultur als hilfreich und produktiv. Vor allem das deutsche Klima im Bereich der Versöhnung der Völker habe sie schon sehr früh dazu animiert, sich zu fragen, welches Gepäck sie selbst mit sich trage aus ihrer eigenen Biographie. Kica Kolbe wurde zwei Jahre nach dem griechischen Bürgerkrieg geboren, in einer Unterkunft für Geflüchtete in der Nähe von Skopje, in der die Familien ihrer Eltern untergebracht wurden, nachdem sie aus dem Norden Griechenlands über die Grenze nach Jugoslawien geflüchtet waren.
„In sozialistischen Ländern waren die Geschichtsnarrative sehr heroisch. Schwierige oder politisch brisante Themen wurden einfach tabuisiert, über Flüchtlingsgeschichten sprach man nicht. Durch die Frankfurter Schule, Benjamin und Adorno, aber auch durch Theorien des kulturellen Gedächtnisses von Aleida und Jan Assmann fand ich ein Paradigma, das zu kontextualisieren, was damals in Jugoslawien gar nicht möglich gewesen wäre. Im meinem Buch Ägäier – ein hybrider, essayistischer Text, der mittlerweile als ein Standardwerk gilt – setze ich mich damit auseinander, was es bedeutet, Flüchtling zu sein. Es geht darin vor allem um die Bilder des Anderen und die Weitergabe von Traumata. Mit diesen Themen beschäftige ich mich auch in meinen Erzählungen und Romanen. Darin geht es häufig um Menschen, die zwischen zwei Kulturen leben, um Identitätssuche und Zugehörigkeit. Sie sind Menschen wie ich, die eine Brückenfunktion zwischen zwei Ländern erfüllen.“